Eine Linguistic-Landscapes-Studie — LL (2/3)

Beispiel einer Linguistic-Landscapes-Studie

Im vorherigen Beitrag habe ich kurz die theoretischen Grundlagen zu Linguistic Landscapes vorgestellt. Nun möchte ich anhand einer eigenen Studie ein Beispiel für deren praktische Umsetzung in der sprachwissenschaftlichen Forschung zeigen. In Deutschland herrscht weder eine Diglossie-Situation, noch wird die Sprache im öffentlichen Raum stark reguliert. Ein interessantes Forschungsgebiet sind aber private signs, wie z.B. Poster oder Schaufenster, und wie sich diese je nach Hintergrund des Autors und der entsprechenden Zielgruppe unterschiedlich gestalten. Zum Beispiel habe ich 2016 im Rahmen meiner Studien eine Untersuchung der Signs an Geschäften in zwei verschiedenen Sozialregionen der Stadt Augsburg durchgeführt. Bei Erhebungsgebiet 1 (Innenstadt) handelt es sich um eine belebte Einkaufsstraße in der Fußgängerzone im Zentrum der Stadt, wo sich die Zielgruppe der Geschäfte aus Stadtbewohnern aller möglichen Schichten sowie Touristen zusammensetzt. Erhebungsgebiet 2 liegt in der Sozialregion Oberhausen, wo ein Großteil der nichtdeutschen Bevölkerung Augsburgs lebt (Ueltzhöffer 2003:139). Hier ist der Verkehr nicht eingeschränkt und die Zielgruppe besteht hauptsächlich aus Anwohnern.

Methode

Für die Studie wurden in beiden Erhebungsgebieten alle sichtbaren private signs an Geschäften oder Restaurants dokumentiert. Anschließend wurden die drei am häufigsten vertretenen Branchen bestimmt und die Sprachenanzahl, das Vorhandensein von Deutsch und von brand names und die Häufigkeit von deren Signs festgestellt. Signs mit identischem Textinhalt, aber verschiedenem Aussehen (Größe, Farbe, Font usw.) wurden als verschiedene Signs eingeordnet, da auch außersprachliche Faktoren die Bedeutung des Signs im Kontext beeinflussen können. Das bedeutet, dass in der Analyse zwischen Typ und Token eines Signs unterschieden wird. In der deutschen Alltagssprache verwendete Fremdwörter wurden dabei als Deutsch gezählt. Für Signs, die nur brand names enthalten, wurde Sprachenzahl=0 eingetragen; brand names wurden aber anschließend nicht weiter analysiert. Des Weiteren wurde für jedes Geschäft oder Restaurant untersucht, ob deutsche, einsprachig nicht-deutsche, mehrsprachige Signs oder Kombinationen daraus verwendet wurden.

Ergebnisse

Die drei häufigsten Branchen, die in den beiden Erhebungsgebieten auftreten, sind Bekleidung, Restaurants und Telefongeschäfte. Deutschsprachige Signs stellen insgesamt, wie zu erwarten, in beiden Erhebungsgebieten die Mehrheit dar, sodass insbesondere einsprachige nichtdeutsche sowie mehrsprachige Signs genauer untersucht wurden.

1. Signs an Bekleidungsgeschäften

Bei Bekleidungsgeschäften in der Innenstadt wurden insgesamt 243 Signs (Tokens) gefunden. Damit ergibt sich ein Durchschnitt von 6,35 Signs pro Geschäft; darin sind allerdings Extremwerte von sowohl sehr wenigen als auch sehr vielen Signs enthalten. Die meisten Signs sind einsprachig (Deutsch, gefolgt von Englisch) und auch bei den zweisprachigen Signs handelt es sich um Kombinationen aus Deutsch und Englisch sowie Bairisch. Ein signifikanter Anteil an Signs enthält zudem ausschließlich brand names.

Im Vergleich dazu ist der Datenumfang in Oberhausen geringer. Mit 124 Signs zu 12 Geschäften finden sich hier jedoch 10,33 Signs pro Geschäft. Auch hier sind die meisten einsprachig, gefolgt von brand names ohne zusätzlichen Text sowie zweisprachigen Signs. Der Anteil der zweisprachigen Signs an der Gesamtmenge ist hier mit 7% nur halb so groß wie in der Innenstadt, was aufgrund der interkulturellen Bevölkerung so nicht zu erwarten war. Mögliche Gründe sind dafür die Verwendung englischer Texte aus Marketing-Gründen in der Innenstadt und statistische Abweichungen aufgrund der geringeren Datenmenge in Oberhausen. Auch hier ist der Großteil der einsprachigen Signs deutsch, gefolgt von englisch und türkisch. Die zweisprachigen Signs enthalten jeweils Deutsch in Kombination mit Türkisch beziehungsweise Englisch.

Aus einer Betrachtung der verschiedenen Sign-Kombinationen an jedem Bekleidungsgeschäft stellt sich heraus, dass an keinem der Geschäfte nur einsprachige, nicht-deutsche Signs vorhanden sind, sodass alle Geschäfte entweder nur deutsche Signs oder eine Mischung aus deutschen und ein- und/oder zweisprachigen Signs besitzen. Allerdings enthielten die beiden Signs an einem Geschäft nur einen brand name und können damit keiner Sprache zugeordnet werden. Möglicherweise gehören auch zusätzliche, bewegliche Signs zu diesem Geschäft, die zum Untersuchungszeitpunkt nicht sichtbar waren.

Ebenfalls ein mobiles Sign: Flyer in Augsburg Innenstadt (© Iris Esposito 2016)

In der Innenstadt sind die mehrsprachigen Signs fast ausschließlich komplementär aufgebaut, d.h. die abgebildeten Texte in jeweils unterschiedlichen Sprachen besitzen einen völlig verschiedenen Inhalt. Auch einige überlappende Signs wurden gefunden, bei denen sich der Inhalt der Texte in den verschiedenen Sprachen teilweise überschneidet (vgl. Reh 2004:8-14). In Oberhausen hingegen sind die meisten mehrsprachigen Signs duplizierend aufgebaut, d.h. mit gleichem Inhalt in beiden Sprachen. Allerdings ist dort die Gesamtmenge mehrsprachiger Signs geringer, sodass diese Zahlen statistisch nicht aussagekräftig genug sind.

Generell handelt es sich bei den komplementären Texten aus der Innenstadt hauptsächlich um größtenteils deutsche Signs, die ein englisches Wort oder einen englischen Slogan enthalten. Dabei ist jedoch der Übergang zu überlappenden Texten fließend, wie z.B. bei folgendem Sign, wo das große Wort ‚SALE‘ die Botschaft übermittelt, dass Waren reduziert verkauft werden. Im deutschen Satz, der darunter in viel kleinerer Schrift steht, wird dies näher beschrieben. Hier zeigt sich auch, dass man nicht unbedingt mehrsprachig sein muss, um komplementäre multilinguale Signs verstehen zu können. Ebenso wie der gesamte Kontext des Signs trägt auch das %-Zeichen im Texthintergrund dazu bei, die Botschaft zu vermitteln.

Sign „SALE“ in der Augsburger Innenstadt (© Iris Esposito 2016)

Auch bei dem einzigen fragmentarischen Sign in der Innenstadt wurde das englische ’click & collect’ nicht vollständig ins Deutsche übersetzt; stattdessen wurde der erste Teil durch das Symbol eines Computers und einer Maus ersetzt, gefolgt von ’hier abholen’. Diese Abbildung ist auch ein Beispiel dafür, dass die Bestimmung einzelner Signs in einem Schaufenster manchmal schwierig sein kann: Handelt es sich bei ‚Click & Collect‘ und ‚Shop online at c-a.com‘ um ein einziges Sign oder um zwei verschiedene Signs auf derselben Oberfläche? In meiner Studie wurden die beiden Texte als unterschiedliche Signs gezählt, doch das lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.

Sign „click & collect“ in der Augsburger Innenstadt (© Iris Esposito 2016)

Häufig dienen englische Wörter dazu, Aufmerksamkeit zu erregen, wie zum Beispiel im obigen SALE-Aukleber oder auch mit einzelnen Anglizismen. Der Großteil der Informationen wird aber in der Regel auf Deutsch übermittelt. Auch die bairischen Texte ’I mog di’ und ’O’zapft is’ im folgenden Bild enthalten praktisch keinen informativen Gehalt, sondern besitzen im Zusammenhang mit Flagge, Tracht und Lebkuchenherz eine symbolische Bedeutung. Dadurch werden typische Assoziationen mit Bayern und insbesondere mit dem Oktoberfest erweckt.

Schaufenster mit bairischem Text auf Signs (© Iris Esposito 2016)

Bei den duplizierenden Signs aus Oberhausen handelt es sich hauptsächlich um einzelne Wörter oder kurze Sätze, die jeweils auf Deutsch und auf Türkisch geschrieben sind. wie z.B. in der folgenden Abbildung. Damit möchten die Produzenten vermutlich sowohl türkischstämmige als auch andere Zielgruppen ansprechen. Allerdings befinden sich im selben Schaufenster eine einsprachig türkische Liste mit den angebotenen Kleiderarten (links im Bild) sowie eine ebenfalls rein türkische Stellenanzeige, ohne deutsche Äquivalente für beide. Demnach scheinen in diesem Fall die Zielgruppe des Geschäfts also doch eher türkischsprachig und türkische Sprachkenntnisse eine Voraussetzung für Mitarbeiter zu sein.

Türkisches Brautmodengeschäft mit mehrsprachigen Signs (© Iris Esposito 2016)

 

Quellen

Backhaus, Peter (2006): „Multilingualism in Tokyo: A look into the linguistic landscape“. International Journal of Multilingualism, 3(1), 52-66.

Cenoz, Jasone, & Gorter, Durk (2006): „Linguistic landscape and minority languages“. International Journal of Multilingualism, 3(1), 67-80.

Edelman, Louise Jeanne (2010): Linguistic landscapes in the Netherlands: A study of multilingualism in Amsterdam and Friesland. Amsterdam Center for Languages and Communication: LOT.

Landry, Rodrigue, & Bourhis, Richard Y. (1997): „Linguistic landscape and ethnolinguistic vitality an empirical study“. Journal of language and social psychology 16(1). Sage Publications, 23-49.

Leeman, Jennifer & Modan, Gabriella (2009) „Commodified language in Chinatown: A contextualized approach to linguistic landscape“. Journal of Sociolinguistics 13(3), 332-362.

Reh, Mechthild (2004): „Multilingual writing: A reader-oriented typology—with examples from Lira Municipality (Uganda)“. International journal of the sociology of language 2004(170), 1-41.

Sutherland, Paul (2015): „Writing System Mimicry in the Linguistic Landscape“. SOAS Working Papers in Linguistics (17), 147-167

Ueltzhöffer, Jörg (2003): Augsburg auf dem Weg zur Bürgerstadt. Zukunftsstudie, interkulturelles Hearing mit Sozialraumdaten. Augsburg: Stadt Augsburg (Augsburgs Handbuch der Sozialregionen 1).

 

Hinweis:

Die verwendeten Daten stammen von 2016, sind also nicht mehr ganz aktuell. Doch Studien zu Linguistic Landscapes begrenzen sich fast immer auf einen momentanen Zustand, da Linguistic Landscapes sich schnell verändern. Alle Bilder sind copryright-geschützt und jede Nutzung und Verbreitung untersagt.